1. Was ist Insolvenzverschleppung?
Die Insolvenzverschleppung gehört zu den häufigsten Straftaten im deutschen Wirtschaftsstrafrecht. Nach § 15a der Insolvenzordnung (InsO) muss die Geschäftsleitung eines Unternehmens unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. sechs Wochen nach Feststellung der Überschuldung, einen Insolvenzantrag stellen. Bei Versäumnis drohen massive straf- und zivilrechtliche Folgen.
- Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 15a Abs. 1 InsO ist der häufigste Insolvenzgrund und liegt vor, wenn die Gesellschaft mangels Liquidität nicht mehr fähig ist, ihre fälligen Rechnungen zu bezahlen (§ 17 Abs. 2 InsO). Konkret spricht man nach derzeitiger Rechtsprechung von Zahlungsunfähigkeit, wenn das Unternehmen innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen 90 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten voraussichtlich nicht begleichen kann.
- Von Überschuldung spricht man, wenn die Verbindlichkeiten eines Unternehmens höher sind als das Vermögen. Nach § 19 Abs. 2 InsO liegt eine bilanzielle Überschuldung – auch wenn das Vermögen die Schulden nicht mehr deckt – aber ausnahmsweise nicht vor, wenn für die nächsten 12 Monate nach den Umständen des Einzelfalls die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist (sog. „positive Fortführungsprognose“).
2. Welche Strafe droht bei Insolvenzverschleppung?
Eine Insolvenzverschleppung zieht oft massive straf- und zivilrechtliche Konsequenzen mit sich.
Strafrechtliche Konsequenzen
Das deutsche Strafrecht sieht bei Erfüllung des Tatbestandes der Insolvenzverschleppung eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor (§ 15a Abs. 4 InsO). Bestraft wird allerdings nicht direkt das Unternehmen, sondern dessen Vertretungsorgan, beispielsweise der Geschäftsführer einer GmbH. Das Strafmaß im konkreten Einzelfall hängt stark von der Schwere der Tat, insbesondere von der Schadenshöhe ab. Eine Geldstrafe kann sehr hoch ausfallen und durchaus 100 Tagessätze überschreiten. In besonders schweren Fällen, etwa wenn zusätzlich Betrug im Spiel ist, kann eine Haftstrafe sogar auf bis zu fünf Jahre ansteigen. Ein Betrug ist zum Beispiel in solchen Fällen gegeben, in denen der zum Antrag Verpflichtete die Geschäfte trotz Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft unbeirrt weiterführt, obwohl die Zahlung von erhaltenen Leistungen bereits eindeutig nicht mehr möglich ist.
Auch Fahrlässigkeit kann zu einer Strafverfolgung führen, wobei diese milder bestraft wird. Es können also auch Geschäftsführer, die ihre Sorgfaltspflicht aus § 43 GmbHG verletzen, belangt werden. Das Strafhöchstmaß in diesen Fällen beträgt ein Jahr.
Insolvenzverschleppung steht außerdem oft im Zusammenhang mit weiteren Delikten, wie dem Bankrott nach § 283 StGB, der Verletzung von Buchführungspflichten nach § 283b StGB, der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB und dem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB.
Zivilrechtliche Konsequenzen
In der Praxis sind die zivilrechtlichen Konsequenzen einer Insolvenzverschleppung regelmäßig erheblicher als die strafrechtlichen Folgen. Da das persönliche Haftungsrisiko oft immens ist, sollten sich Geschäftsleiter stets dem Risiko ihrer eigenen Handlungen bewusst sein. Dazu kommt noch, dass sich Geschäftsführer in der Regel auch durch das Einleiten einer Privatinsolvenz nicht von den zivilrechtlichen Haftungsansprüchen der Gläubiger befreien können.
Nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO muss der zur Antragsstellung Verpflichtete den Gläubigern der Gesellschaft die Schäden aus der verspäteten oder unterlassenen Antragsstellung ersetzen. Gleiches gilt, wenn der Insolvenzantrag unrichtig ist. Der Geschäftsführer haftet sowohl für Vorsatz als auch für fahrlässiges Verhalten.
In bestimmten Fällen können sich auch andere Personen als die Geschäftsführer haftbar machen, sofern ihnen die Insolvenz der Gesellschaft bekannt ist. Dies kann zum Beispiel Kreditinstitute oder auch Gesellschafter betreffen. In solchen Konstellationen kommt eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB in Betracht.
3. Droht auch Privatpersonen oder Einzelunternehmern eine Strafe wegen Insolvenzverschleppung?
In Deutschland betrifft der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung lediglich solche Unternehmen, bei denen keine natürliche Person nach außen mit ihrem Privatvermögen haftet.
Dazu gehören insbesondere folgende juristische Personen:
- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
- Aktiengesellschaft (AG)
- Europäische Aktiengesellschaft (SE)
- Eingetragene Genossenschaft (eG)
Sofern bei Personengesellschaften keiner der persönlich haftenden Gesellschafter eine natürliche Person ist, kommt beispielsweise auch bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder bei der Kommanditgesellschaft (KG) eine Insolvenzverschleppung in Betracht.
Privatpersonen unterliegen hingegen nicht denselben strengen Regelungen und können freiwillig das Verbraucherinsolvenzverfahren beantragen, wenn sie zahlungsunfähig sind. Eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund von „Insolvenzverschleppung“ droht Privatpersonen daher nicht.
4. Wie kann einer Insolvenzverschleppung vorgebeugt werden?
Um eine Insolvenzverschleppung zu verhindern, sollten Geschäftsführer stets einen genauen Überblick über die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens haben. Frühwarnsysteme und regelmäßige Liquiditätsprüfungen können helfen, Zahlungsschwierigkeiten frühzeitig zu erkennen.
Eines der Hauptrisiken für Geschäftsführer ist die Unkenntnis der Rechtslage. Viele Geschäftsleiter wissen nicht einmal, ob und unter welchen Voraussetzungen sie dem strafrechtlichen Risiko der Insolvenzverschleppung unterliegen. Nicht selten kommt es vor, dass zum Insolvenzantrag Verpflichtete die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft verkennen und die drohende Insolvenz fälschlicherweise nur als vorübergehende Krise einstufen. Das Vorliegen einer Insolvenzverschleppung wird daher oft erst deutlich, nachdem ein verspäteter Insolvenzantrag bereits gestellt wurde. Zeigen sich Anzeichen einer drohenden Insolvenz, ist es ratsam, schnell fachlichen Rat einzuholen und zu prüfen, ob eine Insolvenzanmeldung erforderlich ist.
5. Fazit
- Eine Insolvenzverschleppung liegt regelmäßig vor, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist, die Insolvenz aber nicht fristgerecht angezeigt wird.
- Ein Insolvenzantrag muss unverzüglich gestellt werden, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Feststellung der Überschuldung.
- Insolvenzverschleppung wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft.
- Die zivilrechtlichen Folgen einer Insolvenzverschleppung sind oft sogar noch erheblicher als die strafrechtlichen Konsequenzen, da die Geschäftsführer persönlich haften und sich auch nicht durch Privatinsolvenz von der Haftung befreien können.
- Um eine Insolvenzverschleppung zu vermeiden, sollten Geschäftsführer stets einen genauen Überblick über die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens haben und den Insolvenzantrag im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung rechtzeitig stellen.