1. Situation bei Betriebsübergang
Wird ein Betrieb oder Betriebssteil) verkauft („Betriebsübergang“, mehr dazu gleich), fürchten viele Arbeitnehmer eine Kündigung und damit den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Und dies nicht zu Unrecht – gehen mit solchen „Umstrukturierungen“ oft Rationalisierungsmaßnahmen einher. Der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils strebt nämlich nicht selten Gewinnoptimierung durch Kostenreduzierung an. Letzteres ist oft gleichbedeutend mit Arbeitsplatzabbau.
Zunächst stellt sich die Frage nach der rechtlichen Ausgangssituation: Was passiert bei einer Betriebsveräußerung mit den Arbeitsverträgen im veräußerten Unternehmen? Da die Arbeitsverträge mit dem Altunternehmen (Altarbeitgeber) geschlossen wurden, würden die betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz im (neuen) Unternehmen verlieren. Denn eine Betriebsveräußerung umfasst nur die sachlichen und organisatorischen Betriebsmittel des Unternehmens, nicht aber die dort beschäftigten Menschen bzw. deren Arbeitsverträge.
2. Die Regelung des § 613a BGB
Um diesen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes zu verhindern, konstatiert die Vorschrift des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass bei einem Betriebsübergang der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten des Altarbeitgebers mit den Arbeitnehmern tritt – der Altarbeitgeber wird also durch den Erwerber als Vertragspartner ersetzt. Die Vorschrift des § 613a BGB ähnelt insoweit dem Mietrecht („Kauf bricht nicht Miete“ – § 566 BGB) – denn auch hier wird der Mieter vor einem Verlust der Mietwohnung durch einen Verkauf geschützt.
Entscheidende Begrifflichkeit des § 613a BGB ist derjenige des Betriebs oder Betriebsteils. Denn nur wenn ein solcher „übergeht“, liegt ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vor, der den Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz beim Erwerber des Betriebs erhält. Problematisch bzw. streitig ist das Vorliegen eines Betriebsübergangs insbesondere in zwei Fällen:
- Es wird nicht der ganze Unternehmen („Betrieb“), sondern nur ein Teil des Unternehmens („Betriebsteil“) veräußert
- Der veräußerte Betrieb bzw. Betriebsteil wird zumindest vorübergehend stillgelegt bzw. als anderes Unternehmen (z.B. in einer ganz andern Branche) fortgeführt.
Begriff des Betriebs- oder Betriebsteils
Ein Betrieb oder Betriebsteil liegt jedenfalls dann vor, wenn wesentliche sachliche Betriebsmittel (Produktionsstätten, Büroräume) veräußert werden, die eine eigenständige wirtschaftliche Einheit bilden. Problematisch ist oft die Frage, ob ein „Betriebsteil“, also nicht das ganze Unternehmen, erworben wird. Auch eine einzelne Abteilung, eine Filiale oder Geschäftsstelle oder eine funktionale Einheit kann einen Betriebsteil nach § 613a BGB darstellen. Da das Vorliegen von sachlichen Betriebsmitteln insbesondere für den Dienstleistungssektor als zunehmend zu eng (und nicht mehr zeitgemäß) empfunden wurde, ist unter einem Betriebsteil nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nunmehr auch eine wirtschaftliche Einheit zu sehen. Dies können auch lediglich Mitarbeiter und ihr betriebliches Know-How für eine Dienstleistung sein (Bundesarbeitsgericht v. 21.06.2012 – Az. 8 AZR 181/11). Im Extremfall kann dies sogar nur eine einzige Person (z.B. den einzigen Außendienstmitarbeiter) betreffen.
Gerade beim Outsourcing einzelner Firmenbereiche (z.B. Kantine, Hausreinigung, Sicherheitsservice usw.) ist es entscheidend, ob der abgetrennte Teil eine selbstständige, trennbare organisatorische Einheit darstellt. In diesem Fall ist ein Betriebs(teil)übergang gegeben. Problematisch sind die Fälle, wenn unselbstständige Firmenteile ohne eine einheitliche Zweckzuordnung ausgegliedert werden.
Fortführung des Betriebs oder Betriebsteils
Eine weitere Voraussetzung für den Schutz des § 613a BGB ist die Fortführung des Betriebs durch den Erwerber in ähnlicher Tätigkeit. Eine vorübergehende Unterbrechung für einige Tage oder Wochen sind insoweit unschädlich. Auch wenn der Betrieb mehrere Monate ruht, muss es sich nicht zwangsläufig um eine endgültige Betriebsstillegung handeln.
Zudem muss die wirtschaftliche Einheit des Betriebs oder Betriebsteils gewahrt, also ihre Identität beibehalten werden. Wird die Tätigkeit dagegen wesentlich verändert (z.B. Restaurant statt Cateringbetrieb, Zeitungszustelldienst mit völlig neuer Organisation), liegt eine bloße Funktionsnachfolge vor, die einen Betriebsübergang ausschließt (vgl. BAG v. 19.03.2015 – Az. 8 AZR 150/14).
3. Folgen eines Betriebsübergangs
Liegt ein Betriebsübergang vor, wird der Erwerber der neue Arbeitgeber des Arbeitnehmers. Diese Arbeitsbedingungen dürfen durch den neuen Arbeitgeber erst nach einem Jahr zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert werden (sog. Veränderungssperre). Ausnahmen sind bei existierenden Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen beim neuen Arbeitgeber möglich.
Die Vorschrift des § 613a BGB enthält darüber hinaus u.a. die folgenden für den Arbeitnehmer wichtigen Regelungen:
- Tarifvertragliche Regelungen des Altarbeitgebers werden unter bestimmten Voraussetzungen Bestandteil des Arbeitsvertrags des Arbeitnehmers, gelten also (ebenfalls) weiter
- Der Arbeitnehmer darf nicht aufgrund des Betriebsübergangs gekündigt werden
- Der Arbeitnehmer muss über den Betriebsübergang vorab informiert werden
- Der Arbeitnehmer kann dem Betriebsübergang widersprechen und verbleibt dann im Altunternehmen.
In der Praxis sind der Kündigungsschutz und das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers die relevantesten Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer.
4. Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers
Wurde der Arbeitnehmer umfassend und ausreichend über den Betriebsübergang informiert, hat er einen Monat Zeit, diesem zu widersprechen. Der Widerspruch muss schriftlich gegenüber dem alten oder dem neuen Arbeitgeber erfolgen. Dies bedeutet, dass die Widerspruchsfrist auch erst dann anläuft, wenn der Arbeitnehmer unterrichtet wurde. Unterbleibt die Unterrichtung, kann der Arbeitnehmer also auch noch später widersprechen.
Widerspricht der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang, so tritt die Übergangswirkung des § 613a BGB nicht ein. Der Arbeitnehmer verbleibt dann im Betrieb des Altarbeitgebers bzw. hat weiter bei diesem einen Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer sollte sich allerdings gut überlegen, ob dies für ihn wirklich vorteilhaft oder sinnvoll ist: Wenn er im alten Unternehmen verbleibt, riskiert er nämlich eine betriebsbedingte Kündigung. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Altarbeitgeber nach dem Verkauf des Betriebs oder Betriebsteils für den bei ihm verbliebenen Arbeitnehmer keine Verwendung mehr hat.
5. Betriebsübergang und Kündigungsschutz
Nach § 613a Abs. 4 BGB darf keine Kündigung aufgrund des Betriebsübergangs ausgesprochen werden – weder durch den alten noch durch den neuen Arbeitgeber. Was zunächst gut klingt, muss jedoch eingeschränkt werden. Eine Kündigung im Zuge des Betriebsübergangs ist nur dann unwirksam, wenn der Übergang der einzige bzw. tragende Grund für die Kündigung ist. Sowohl dem Altarbeitgeber als auch dem Erwerber bleibt es unbenommen, aufgrund eines schlüssigen Sanierungskonzepts eine entsprechende Kündigung aus betriebsbedingten Gründen zu erklären.
Die sonstigen Kündigungsmöglichkeiten bleiben ohnehin unberührt, wenn die entsprechenden Kündigungsgründe vorliegen (z.B. außerordentliche, personen- oder verhaltensbedingte Gründe). Der Kündigungsschutz des § 613a Abs. 4 BGB umfasst also nur die Fälle, in denen die Kündigung einzig und allein mit dem Betriebsübergang begründet wird.
6. Abfindung
Bei einem Betriebsübergang steht schnell die Frage nach einer Abfindung im Raum. Eine Abfindungspflicht des Arbeitgebers aufgrund des Betriebsübergangs besteht indes nicht: Denn die Vorschrift des § 613a BGB soll die Arbeitnehmer ja gerade vor einem Arbeitsplatzverlust bewahren.
Werden im Zuge des Betriebsübergangs allerdings Kündigungen ausgesprochen oder den Arbeitsnehmern Aufhebungsverträge angeboten, werden oft Abfindungen gezahlt. Nicht selten handelt der Betriebsrat einen Sozialplan aus, der die Folgen bevorstehender Kündigungen abfedern soll und die Modalitäten für Abfindungszahlungen wegen Kündigung enthält. Angebotene Abfindungen werden von Arbeitgebern häufig dazu verwendet, den Arbeitnehmern einen Ausstieg aus dem Unternehmen „schmackhaft“ zu machen und langwierigen Rechtsstreits aus dem Weg zu gehen. Entsprechende Verzichtserklärungen, wonach mit Annahme der Abfindung gleichzeitig auf weitere Rechtsstreits verzichtet wird, sind zulässig.
Sozialplanvereinbarungen gelten auch dann, wenn Sie schon im Altunternehmen vor dem Betriebsübergang abgeschlossen wurden. Zweifelhaft ist deren Rechtmäßigkeit aber dann, wenn der Sozialplan alleine Ansprüche nach einem Betriebsübergang zu einem neuen Arbeitgeber regeln soll. Denn dann kann ein ungültiger Vertragsschluss zu Lasten Dritter vorliegen (LAG München v. 22.04..2009 – Az. 11 Sa 963/08).
7. Fazit/Praxistipp
Letztlich stellt die Vorschrift des § 613a BGB erst einmal (nur) sicher, dass nicht sämtliche Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz im verkauften Betrieb allein durch den Verkauf verlieren. Allerdings ist der Arbeitnehmer in einem solchen Fall nicht rechtlos. Denn auch eine betriebsbedingte Kündigung muss vom Arbeitgeber erst einmal ausreichend begründet und ggf. im Rahmen einer Kündigungsschutzklage durchgefochten werden. Gerade im Fall von Massenentlassungen helfen der Betriebsrat und ein spezialisierter Rechtsanwalt für Arbeitsrecht. Oft wird auch ein Sozialplan aufgestellt. Dann steigt auch die Chance auf eine Abfindung wegen Kündigung.
Soll ein Arbeitnehmer im Zuge eines Betriebsübergangs gekündigt werden, müssen auf Arbeitgeberseite zwei Dinge beachtet werden: Zunächst muss die Information der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang ausreichend sein. Ansonsten riskiert der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht auch noch längere Zeit nach dem Betriebsübergang erklären kann. Eine eventuelle betriebsbedingte Kündigung muss besonders sorgfältig begründet werden, um den im Raum stehenden Vorwurf einer Kündigung aufgrund des Betriebsübergangs zu entkräften.