VW-Skandal und Schadenersatz: Was ist ein Sachmangel?

Der VW-Skandal um die Manipulation von Abgaswerten hat hohe Wellen geschlagen. Als Autokäufer oder -besitzer enstehen so Ansprüche gegenüber dem Autohändler oder dem Hersteller.

1. VW-Skandal: Was ist passiert?

Auch wenn die erste Nachrichtenwelle über die Manipulation der Abgaswerte von Diesel- und Benzinmotoren bei VW und Tochterkonzernen (Audi, Škoda oder Seat) abgeebbt ist: Immer wieder erreichen uns neue Zahlen darüber, wie groß das Ausmaß des „Abgas-Skandals“ oder auch „VW-Skandals“ nach neuesten Erkenntnissen sein soll. Wie viele und welche Fahrzeuge betroffen sind, von welchem finanziellen Schaden für VW man ausgehen muss – sämtliche Zahlen werden ständig hinterfragt und durch neue Zahlen ersetzt. Doch neben all den Zahlen interessiert die Autokäufer und -fahrer insbesondere: Ist mein Fahrzeug betroffen und welche Rechte kann ich gegen den Autohändler bzw. Hersteller VW geltend machen?

Dennoch kurz einige Fakten: Betroffen sind nach derzeitigem Wissensstand mindestens 2,4 Millionen Fahrzeuge allein in Deutschland und 8,5 Millionen Fahrzeuge in der EU. Im Blickpunkt steht vor allem eine durch Software durchgeführte Laufmanipulation („Abschalteinrichtung“) des seit 2007 verbauten Dieselmotors vom Typ EA 189 mit einem Hubraum von 1,2 bis 2,0 Litern. Der Motor „erkennt“ dabei durch die verwendete Software, ob er gerade auf einen umweltfreundlichen Verbrauch getestet wird. Ist dies der Fall, wird das Motorverhalten entsprechend angepasst, um einen geringeren Abgasausstoß zu erreichen und die vorgegebenen Emissionswerte einzuhalten. Wird der Motor dagegen jenseits eines Verbrauchstests gefahren, zeigt er ein verändertes Leistungs- und Abgasverhalten und soll die festgelegten Emissionsgrenzen bis zum Faktor 40 überschreiten.

2. Sachmängelhaftung und Autokauf

In unserem Beitrag zum Rücktritt vom Autokauf haben wir die Voraussetzungen der kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistung bereits angerissen. Zentraler Begriff ist derjenige des Sachmangels (vgl. § 434 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB), wobei unter einem Mangel im Juristendeutsch eine „ungünstige Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit einer Sache“ zu verstehen ist, also eine Verschlechterung der Sache hinsichtlich ihrer Substanz oder ihrer Gebrauchstauglichkeit. Entscheidend ist hierbei grundsätzlich die „vereinbarte Beschaffenheit“, es gilt also der Grundsatz: Es wird das geschuldet, was verkauft wurde. Allerdings wird vom Verkäufer eine „übliche Beschaffenheit“ verlangt, die der Käufer nach den Aussagen des Verkäufers und seiner Verkaufswerbung erwarten kann.

Ein Sachmangel löst Schadenersatzansprüche bzw. Gewährleistungsrechte des Käufers gegen den Verkäufer aus. Ein Rücktritt vom Kaufvertrag ist regelmäßig erst nach zweimaliger erfolgloser Nachbesserung des Verkäufers möglich, d.h. wenn dem Verkäufer keine (dauerhafte) Mängelbeseitigung gelingt. Ein Rücktritt ist zudem nur beim Vorliegen eines erheblichen Mangels (vgl. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB) gangbar. Dies ist nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedenfalls dann stets der Fall, wenn ein Sachmangel den Wert der Kaufsache um mindestens fünf Prozent mindert (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – Az. VIII ZR 94/13).

3. Sachmangel durch veränderte Motorleistung?

Vorab: Es ist damit zu rechnen, dass insbesondere die zentrale Frage nach dem Vorliegen eines Sachmangels durch Verwendung der Abgas-Software die Gerichte und Anwälte noch umfassend beschäftigen wird. Hier wird es auch darauf ankommen, wie die in Rede stehende Software genau funktioniert(e) und wie die rechtlichen Rahmenbedingungen der VW-Verkäufe (z.B. verwendete AGB- und Garantiebestimmungen) genau zu bewerten sind. Im Rahmen dieses Beitrags können lediglich Tendenzen aufgezeigt werden.

Am einfachsten ließe sich ein Sachmangel dann nachweisen, wenn Laufleistung oder Fahrverhalten des Motors durch die Abgas-Software negativ beeinflusst wurden. Allerdings ließ Volkswagen hierzu verlauten, dass die Laufleistung des Motors selbst nicht durch die Software beeinträchtigt werde, da diese nur während des Prüfbetriebs zum Einsatz kommt. Hier scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen – allerdings ist mit dem momentanen Wissensstand eher nicht davon auszugehen, dass hier ein vorwerfbarer Sachmangel vorliegt, denn die Anwendung der Abgas-Software dürfte eher zu einer Reglementierung oder Drosselung des Laufverhaltens während der Prüfphase führen. Umgekehrt bedeutet dies, dass während der „freien Fahrt „eher von einer höheren Leistung ausgegangen werden muss.

4. Sachmangel durch erhöhten Spritverbrauch?

Vom obigen Punkt zu unterscheiden ist der Ansatz, ob ein erhöhter Spritverbrauch als Sachmangel anzusehen ist. Experten vertreten die Ansicht, dass schon ein erhöhter Kraftstoffverbrauch von drei Prozent als Sachmangel angesehen werden muss. Ab einem Mehrverbrauch von über zehn Prozent soll sogar ein erheblicher Sachmangel vorliegen, der zum sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigen würde.

Für diesen Ansatz spricht zunächst einiges, denn der angegebene Kraftstoffverbrauch stellt für viele Autokäufer ein Argument dar, sich ein spritsparendes Fahrzeug zu kaufen. Allerdings wird hier entscheidend sein, ob der Kraftstoffverbrauch höher ist als zum jeweiligen angegeben Verbrauch und inwieweit dies auf die verwendete Software zurückzuführen ist.

Allerdings legen die Fahrzeughersteller bei der Messung Idealbedingungen zugrunde und versuchen, sich durch entsprechende Erläuterungen in AGB-Regelungen so weit wie möglich abzusichern. Da es im Alltag regelmäßig nur schwer möglich sein wird, ständig unter diesen „Idealbedingungen“ zu fahren (z.B. auf Autobahnen nie schneller als 120 km/h, ohne abruptes Abbremsen und Beschleunigen usw.) ist ein gewisser Mehrverbrauch gegenüber den Hersteller-Angaben zwar nicht ungewöhnlich. Dieser kann aber bis zu einer gewissen Grenze (dazu gleich) jedoch regelmäßig nicht rechtlich angegriffen werden.

Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 18.06.1997 – Az. VIII ZR 52/96) und der Oberlandesgerichte, etwa des OLG Hamm (Urt. v. 07.02.2013 – Az. I-28 U 94/12) ist ein (gutachterlich nachgewiesener) Spritmehrverbrauch von zehn Prozent gegenüber den gemachten Angaben des Herstellers regelmäßig als erheblicher Mangel zu bewerten. Ein solcher Mehrverbrauch muss allerdings anhand der Maßstäbe geltenden EU-Rechts reproduzierbar sein und durch ein entsprechendes Gutachten nachgewiesen werden. Entscheidend ist dabei stets, inwieweit der Wert des Fahrzeugs durch den erhöhten Spritverbrauch geschmälert wird. Subjektive Erwartungen des Käufers sind dagegen weniger relevant, entscheidend ist ein objektiv feststellbarer Mehrverbrauch.

5. Sachmangel durch erhöhten Schadstoffausstoß

Die Chancen eines Sachmangelnachweises aufgrund erhöhter Schadstoffausstöße losgelöst vom Spritverbrauch – also einem „Sachmangel wegen größerer Umweltverschmutzung“ – werden allgemein als geringer eingeschätzt. Denn hier ist schon unklar, inwieweit dadurch der Wert des Fahrzeugs geschmälert wird.

6. Geltendmachung und Verjährung von Ansprüchen

Ab Kaufdatum des in Rede stehenden Fahrzeugs ist eine mögliche Verjährung zu beachten. Hier ist zu unterscheiden: Ansprüche direkt gegen den Hersteller (Volkswagen) verjähren nach drei Jahren. Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer (z.B. Autohaus) können dagegen nur bis zu einem Zeitraum von zwei Jahren nach Kauf geltend gemacht werden. Es gilt hier also, umgehend zu handeln, um nicht zu riskieren, dass die Ansprüche wegen drohender Verjährungseinrede insbesondere der Fahrzeugverkäufer (Autohäuser) nicht mehr durchgesetzt werden können.

Hierzu wird vielfach gefordert, die Fahrzeugverkäufer zu einem Verzicht der Geltendmachung der Verjährungseinrede zu bewegen. Volkswagen hatte unlängst erklärt, einen vorübergehenden Verjährungsverzicht der VW-Händler erwirken zu wollen. Hier bleibt momentan vieles unklar, etwa auf welche Ansprüche sich dieser Verzicht beziehen soll und ob dieser etwa auch für Ansprüche gelten soll, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt verjährt sind. Sicher ist: Dem Hinweis vieler Experten, man solle seinen Verkäufer explizit zum Verjährungsverzicht auffordern, werden viele Händler nicht (freiwillig) nachkommen.

Sicher ist: Gewährleistungsrechte eines betroffenen Fahrzeugs sollten umgehend vom Anwalt überprüft und zunächst gegen den Verkäufer geltend gemacht werden. Äußerungen von VW, die Mängel erst 2016 oder 2017 zu beheben sind hier irrelevant – wer zu lange wartet, der riskiert, dass seine Ansprüche inzwischen verjährt sind.

7. Weitere Ansprüche geltend machen

Im Raum stehen noch weitere Ansprüche und Schadensposten. Auch hier ist zum momentanen Zeitpunkt vieles unklar. Zum einen stehen Schadenersatz- bzw. Regressansprüche wegen Betrugs oder einer „vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung“ (§ 826 BGB) im Raum. Hier dürfte der Nachweis eines vorsätzlichen Handelns von Volkswagen schwer nachzuweisen sein – dafür fehlen dem Autokäufer oft die Einblicke in die internen Abläufe des Unternehmens.

Andererseits wird Ersatz für weitere Schäden und Aufwendungen gefordert. Nach momentaner Einschätzung von Verbraucherschützern kann nicht davon ausgegangen werden, dass VW für sämtliche Kosten eines Fahrzeugrückrufs (z.B. Mietwagen während einer Reparatur, Verdienstausfälle bei geschäftlicher Nutzung, auftretende Mängel im Anschluss an die Nachbesserungen in den Werkstätten) aufkommen muss.

8. Fazit und Praxistipp

Die Chancen für Gewährleistungsrechte gegen die Autoverkäufer stehen nicht schlecht – unsicher ist jedoch, welche konkreten Ansprüche den betroffenen Autofahrern zustehen. Dies kann auch pro Fahrzeugtyp variieren – nicht in allen Fällen soll etwa eine veränderte Software ausreichen, um die Laufleistung der Motoren entsprechend anzupassen, z.T. ist auch eine Nachrüstung des Motors erforderlich.

Wichtig ist es zum gegebenen Zeitpunkt insbesondere, bestehende Ansprüche zu sichern und nicht verjähren zu lassen. Hat ein Anwalt mehrere Mandanten mit Ansprüchen gegen VW, wird er versuchen, diese Verfahren gemeinsam abzuwickeln. „Sammelklagen“ nach amerikanischem Vorbild gibt es in Deutschland zwar nicht, wohl aber die Möglichkeit, mehrere Klagen zusammenzufassen (Streitgenossenschaft bzw. Klagehäufung). Hier lässt sich Zeit sparen und auch Kosten, etwa für ein Schadstoffgutachten über den Spritmehrverbrauch.