HWS/Schleudertrauma und Schmerzensgeld

Eine Verletzung der Halswirbelsäule (HWS) bzw. ein Schleudertrauma gelten als häufige Folgen nach einem Verkehrsunfall. Wann gibt es (wieviel) Schmerzensgeld?

1. Die Begrifflichkeiten HWS und Schleudertrauma

Eine Distorsion (Verstauchung) der Halswirbelsäule (HWS) als Folge eines Autounfalls wird als Schleudertrauma bezeichnet. Die Ausdrücke Schleudertrauma, HWS-Syndrom, HWS-Distorsion oder das Kürzel HWS werden mitunter als synonyme Begriffe für eine Schleudertraumaverletzung verwendet. Die Verletzung tritt oft bei Auffahrunfällen auf. Der Kopf erfährt dabei beim Aufprall des Fahrzeugs einen starken Beschleunigungsimpuls nach vorne und wird anschließend abrupt zurück in die Kopfstütze geschleudert – entweder durch den Sicherheitsgurt oder durch einen Aufprall des Kopfes. Durch diese plötzliche Geschwindigkeitsveränderung findet eine starke Energieübertragung auf die Nackenregion des Betroffenen statt – die Nackenregion wird überstreckt bzw. überdehnt. Wegen des Bewegungsablaufs wird diese Verletzung auch als Peitschenschlagphänomen (engl. „whiplash injury“) bezeichnet. Eine HWS-Distorsion wird in Deutschland jährlich 400.00 Mal diagnostiziert, bei der Hälfte der Fälle soll ein Schleudertrauma Ursache sein.

2. Schweregrad der HWS-Distorsion

Die Klassifikation des Schleudertraumas erfolgt anhand der auftretenden Beschwerdesymptome, wobei Intensität und zeitliche Dauer der Beeinträchtigungen bei der Bewertung miteinbezogen werden. Nach der sog. Quebec-Klassifikation werden 5 verschiedene Schweregrade von 0 bis 4 unterschieden. Der Grad 0 steht für Beschwerdefreiheit. Grad 1 steht für leichte Beeinträchtigungen, etwa Nackenschmerzen oder geringe Bewegungseinschränkungen. Grad 2 bezeichnet mittelschwere Beeinträchtigungen – starke Schmerzen, höhere Bewegungseinschränkungen oder Taubheitsgefühle von Gliedmaßen. Grad 3 bezeichnet starke bis stärkste Beeinträchtigungen wie verminderte Muskelreflexe oder motorische Ausfälle. Der Schweregrad 4 steht für erhebliche Verletzungen jenseits einer bloßen „Verstauchung“, also Knochenfrakturen, Verschiebungen und Schädigungen des Rückenmarkes. Verletzungen des Schweregrads 4 verlaufen oft unmittelbar tödlich oder führen zu Querschnittslähmungen.

3. Voraussetzungen für Schmerzensgeld

Wie bereits in unserem Beitrag zu Schmerzensgeld bei einem Verkehrsunfall geschildert, besteht ein Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten (Verletzten) gegen den Schädiger bzw. gegen dessen Haftpflichtversicherung für die erlittenen Verletzungen und Schmerzen nach § 253 BGB. Der Schädiger muss also neben strafrechtlichen Konsequenzen (wegen Körperverletzung im Straßenverkehr) auch mit einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme rechnen. Da der Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldanspruch die erlittenen Beeinträchtigungen kompensieren soll, hängt dessen Höhe von der Intensität und Dauer dieser Beeinträchtigungen, also den im Einzelfall konkret erlittenen Schmerzen ab.

4. Harmlosigkeitsgrenze und Kausalitätsnachweis

Insbesondere bei geringeren Beeinträchtigungen berufen sich die Versicherungen der Schädiger oft entweder auf eine Harmlosigkeits- oder Bagatellgrenze. Versicherungen streiten dann ab, dass der Autounfall überhaupt kausal, also ursächlich für die Schmerzen gewesen sei, etwa weil diese Schmerzen schon vor dem Unfall bestanden hätten.

Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH v. 28.01.2003 – Az. VI ZR 139/02) existiert jedoch keine schematische „Harmlosigkeitsgrenze“, wonach etwa eine HWS-Distorsion beim Vorliegen geringer Geschwindigkeitsänderungen von unter 10 km/h beim Aufprall generell ausgeschlossen werden könnte. Entscheidend bleiben die Umstände des Einzelfalls.

Trotz dieser Rechtsprechung versuchen die Versicherungen immer wieder, eine Zahlung mit Hinweis auf eine geringe Geschwindigkeit pauschal zu verweigern. Die Versicherungen verweigern die Zahlung oft sogar dann, wenn ein ärztliches Attest vom Unfalltag vorliegt, welches die in Rede stehenden Halsverletzungen attestiert. In einem Urteil vor dem Amtsgericht Köln vom 17.08.2011 (Az. 261 C 289/09) hatte die Versicherung vorgebracht, dass das ärztliche Attest nur die Verletzungen bescheinige, aber nichts zu der Verursachung dieser Verletzungen durch den Autounfall mit niedriger Geschwindigkeit (9 – 11 km/h) aussagen könne. Auch das AG Köln gab jedoch den Unfallopfern Recht und verurteilte die Versicherung zur Zahlung.

5. Berechnung des Schmerzensgeldes und Schmerzensgeldtabellen

Wegen der Kompensationsfunktion des Schmerzensgeldes für die erlittenen Schmerzen des Unfallopfers aufgrund des HWS-Syndroms hängt die Höhe des Schmerzensgeldes von der Schwere der Verletzung, der Intensität und Dauer der Schmerzen ab. Auch spielt die Frage eine Rolle, ob Dauerschäden zu erwarten sind bzw. ob und wie lange in der Zukunft mit weiteren Schmerzen zu rechnen ist.

Schmerzensgeldtabellen enthalten Angaben darüber, bei welchen Verletzungen welche Schmerzensgelder in einem konkreten Fall (Gerichtsurteil) zugesprochen wurden. Sie können einen ersten Anhaltspunkt bieten, in welcher Höhe ein Schmerzensgeld denkbar ist. Immer maßgeblich ist jedoch der konkrete Einzelfall, und dieser unterscheidet sich meist von dem der Schmerzensgeldtabelle zugrunde liegenden Fall.

6. Beispiele für Schmerzensgeld bei HWS-Syndrom

Üblich sind Schmerzensgelder von 150 bis 6000 Euro. Für ein leichtes Schleudertrauma mit 8-tägiger Arbeitsunfähigkeit sprach etwa das Landgericht (LG) München I (Urt. v. 11.08.1994 – Az. 19 S 6068/94) einen Betrag von 250 Euro zu. Ein Schleudertrauma 1. oder 2. Grades mit dauerhafter Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % setzte das LG München I (Urt. v. 10.02.1994 – Az. 19 O 25168/90) bei 2.500 Euro an. Das OLG München (Urt. v. 23.01.1998 – Az. 10 U 2663/97) erachtete bei einem schweren Schleudertrauma mit teilweiser Instabilität der Halswirbelsäule und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von ebenfalls 10 % einen Schmerzensgeldbetrag von 5.000 Euro für angemessen.

Treten weitere Beeinträchtigungen hinzu bzw. bei dauerhafter erheblicher Schädigung der Halswirbelsäule (z.B. Querschnittslähmung) sind wesentlich höhere Schmerzensgelder denkbar. Im Fall einer Querschnittslähmung eines dreieinhalbjährigen Jungen ab dem 1. Halswirbel aufgrund eines Autounfalls sprach das LG Kiel (Urt. v. 11.07.2003 – Az. 6 O 13/03) ein Schmerzensgeld von 500.000 Euro und eine monatliche Geldrente von 500 Euro zu.

7. Fazit und Praxistipp

Wer Opfer eines Autounfalls wurde, der sollte noch am selben Tag zum Arzt gehen und ein ärztliches Attest einholen. Schmerzen und Beeinträchtigungen treten oft erst nach einigen Stunden oder sogar erst nach mehreren Tagen auf. Verletzungen bzw. Schmerzen sollten genau dokumentiert werden, bei anhaltenden Schmerzen und Beeinträchtigung empfiehlt sich die Führung eines „Schmerztagebuches“. Dieses sollte auch dokumentieren, welche Bewegungen, Arbeiten und Beschäftigungen in der Freizeit nicht oder nur unter Beschwerden ausgeführt werden können.

Zu warnen ist vor Abfindungserklärungen der Versicherungen, die zwar Einmalzahlungen versprechen, aber jede weitere Schadensersatzforderung (auch für erst später auftretende Schmerzen) unwiderruflich ausschließen.